Nachdem ich mich im letzten Beitrag meiner Artikelserie über die Vorbereitung von Wintertouren mit dem Wanderwetter beschäftigt habe, möchte ich heute auf einen der wohl wichtigsten Punkte bei Winterwanderungen zu sprechen (schreiben) kommen: Die Lawinensituation bzw. die Schneeverhältnisse

Können die Schneeverhältnisse im schlimmsten Fall den Unterschied zwischen Vergnügen und Schinderei ausmachen (wobei es aber durchaus Zeitgenossen geben soll, die das zweite für das erste machen ;-)), so kann die Lawinengefahr den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten.

Erfahrene Wintersportler mögen über diese drastische Ausdrucksweise lächeln, diese Formulierung ist auch eher und gerade für Einsteiger in das Thema „Winterwandern“ gedacht.

 

Riesiges "Schneerad" im Frühjahr

Riesiges "Schneerad" im Frühjahr

 

Bevor ich näher auf die Lawinengefahr eingehe, möchte noch ein paar Worte zu den Schneeverhältnissen verlieren. Was kann dabei alles eine Rolle spielen:

  • Neuschneemenge
  • Einsinktiefe
  • Schneebeschaffenheit (Pulverschnee, Bruchharsch, tragender Harschdeckel)
  • „Schwere“ des Schnees (lockerer Pulverschnee – nasser, patziger Schnee)

In diesem Zusammenhang bringe ich immer gerne mein Lieblingsbeispiel von Schneeschuhwanderungen zur Neubergalm im tiefsten Kemetgebirge. In dieses entlegene Gebiet kommen im Winter kaum Wanderer hin, einer der Gründe, warum ich es so liebe. Allerdings muss man dafür meist selbst spuren.

Meine schnellste Tour (ich bin kein Sportler und lege es nicht auf Rekorde an) führte mich auf den insgesamt 13 Kilometern und 850 Höhenmetern in knapp 4 Stunden hin und zurück. Ein tragfähiger Harschdeckel, bei dem ich kaum einsank, erlaubte mir ein äußerst rasches Vorwärtskommen.

Die meiste Zeit – und ich erinnere mich noch heute sehr genau und intensiv an diesen Ausflug – benötigte ich am 06.01.2004, wo ich teilweise bis zu den Hüften in den unbarmherzigen und kaum mehr bewältigbaren Neuschneemassen einsank. 7 Stunden habe ich am Ende benötigt und wäre dabei trotz der üblichen Flüssigkeitsmitnahme fast verdurstet – ich musste den Tee mit Schnee „strecken“.

 

Bruchharsch der übelsten Sorte läßt mich die Schuhe kaum aus der Schneedecke ziehen

Bruchharsch der übelsten Sorte läßt mich die Schuhe kaum aus der Schneedecke ziehen

 

Gerade das waldreiche Kemetgebirge im nordöstlichen Dachsteingebirge kann fast jedes Jahr durch den Nordstau mit enormen Schneemassen aufwarten, wo man an speziellen Tagen für jeden Schritt 3 Anläufe benötigt.

Zunächst den Fuß aufheben, dann mit dem Knie vorstossen, dann den Fuß höher in das vom Knie ausgeschobene Loch und Fuß mit dem Schneeschuh nach vorne stossen.

An anderen Tagen wiederum hat man es mit extrem patzigem sowie durch und durch nassem Schnee zu tun, der sich an den Fellen der Tourenschi oder zwischen den Schneeschuh-Harschkrallen festsaugt und mit jedem Schritt mehr und schwerer wird. Wenn man Glück hat, fällt der Klumpen dann gelegentlich wieder ab und man hat kurzzeitig das Gefühl, zu schweben, bis sich der „Schneeball“ allmählich wieder aufbaut.

 

Schneegesicht mit Schneeschuh-Nasenspitze

Schneegesicht mit Schneeschuh-Nasenspitze

 

 

Nun zur nächsten Frage: Soll man im Winter trotz drohender Lawinen überhaupt ins freie alpine Gelände?

  • Lawinen verstecken sich nicht hinter Bäumen und springen bösartig auf vorbeikommende Wanderer. Wegen dieser in jedem Winter damoklesschwertartig drohenden Gefahr muss man sich nicht von den Freuden des Wanderns abhalten lassen.
  • Aber: Man darf diese Gefahr auch keinesfalls ignorieren oder verniedlichen! Und leider hat das geflügelte Wort „Gefahr erkannt, Gefahr gebannt“ auf den schneebedeckten Bergen nicht immer Gültigkeit.

 

Was also tun?

A) Lernen, Lernen, Lernen

  • Bei Lawinen-Sicherheitskursen alpiner Vereine oder in Begleitung erfahrener Schitourengeher oder Schneeschuhwanderer.
  • In Fachbüchern, die sich mit Risikoanalyse zur Minimierung der Lawinengefahr beschäftigen. Denn man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass Lawinengefahr zu 100% ausgeschlossen werden kann.

Von Bergkameraden mit jahrzehntelanger Erfahrung habe ich am Beginn meiner Winterwanderungen Interessantes über die unterschiedlichen Lawinenarten erfahren und zu welchen Jahreszeiten und Tageszeiten die einen oder die anderen wahrscheinlicher sind.

  • Staublawinen (in Zentralösterreich in größerem Ausmaß eher seltener)
  • Schneebrett
  • Nassschneelawinen bis zur Extremausbildung als Grundlawinen (meist nur im Frühjahr ab den Mittagsstunden)

Ich habe gelernt, an welchen Hangausrichtungen Lawinen wahrscheinlicher und wo eher seltener sind.

Ich habe anfangs bei etlichen gemeinsamen Touren die Fähigkeit erworben, die Steilheit eines Hanges zu messen bzw. zu schätzen.

Wie steil und wie lang muss ein Hang wirklich sein und wieviel Schnee ist erforderlich, dass eine gefährliche Lawine ausgelöst werden kann.

Ihr werdet erfahren, dass auch ein lichter Wald keineswegs Schutz vor Lawinen bietet (im Extremfall nicht einmal ein dichter Wald – aber solche Situationen sind Gottseidank sehr selten).

 

Auch Forststraßen können meterhoch verschüttet werden

Auch Forststraßen können meterhoch verschüttet werden

 

Bergkameraden wissen aus eigener Erfahrung zu berichten, dass Wechten an umwindeten Kämmen meist nicht gerade abbrechen, sondern mitunter noch einen Keil von mehreren Metern auf der anderen Seite mitnehmen.

Ihr werdet hören, dass der erste schöne Tag nach ausgiebigen Schneefällen auch bei „nur“ mittlerer Lawinenwarnstufe 3 der gefährlichste ist.

Ihr werdet merken, dass Lawinenausläufer bei Querungen auch noch nach ihrem Abgang im gefrorenen Zustand eine ernste Herausforderung werden können.

Ihr achtet zunehmend bewußt auf die Anzeichen, die Euch der Schnee liefert. Aus welcher Richtung hat der Wind geweht (Wind gilt als „Baumeister der Lawinen“), wie fühlt sich der Schnee an, sind Anrisse zu erkennen, wie verhält es sich mit „Fischmäulern“, gibt es die gefürchteten, durch die Magengrube fahrenden Wumm-Geräusche.

Bei diesen Punkten hat der Schitourengeher, der die Berge auch im Aufstieg bewältigt, meines Erachtens einen Vorteil gegenüber dem Freerider, der mit Seilbahnunterstützung aufwärts strebt und bei unbekannten Schneeverhältnissen talwärts fährt.

Schneeschuhwanderer halten sich ohnehin lieber im weniger steilen Gelände auf (ja, ja ich weiß – es soll Ausnahmen geben 😉 und eine Lawine kann auch von oben herunter rauschen).

Mit der Zeit erlebt man selbst das eine oder andere „Rutscherl“ aus nächster Nähe, begegnet respekteinflößenden Anzeichen monströser Lawinenabgänge, die nach einem Graben auf der anderen Seite wieder weit aufwärts „fahren“ oder hört das angstmachende Getöse schwerer Nassschneelawinen in steil umschlossenen Almkesseln und versucht, das Gesehene in Regeln zu gießen.

Die es aber nicht in der gewünschten Klarheit gibt – Lawinentote bei Lawinenwarnstufe 1 und weitgehend abgeblasenen Hängen sprechen da leider eine andere Sprache.

 

Bei diesem Schneebrett ist gerade noch alles gut gegangen

Bei diesem Schneebrett ist gerade noch alles gut gegangen

 

B) Üben, Üben, Üben

Die Mitnahme der Lawinensicherheits-Grundausstattung sollte ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein:

  • LVS-Gerät
  • Schneeschaufel
  • Lawinensonde

Dass das LVS-Gerät auch eingeschalten werden sollte, bedarf auch keiner eingehenderen Erläuterung.

Aber – Ganz wichtig: Man muss sich mit dieser Sicherheitsausstattung auch jedes Jahr aufs Neue vertraut machen und den richtigen Gebrauch immer wieder üben.

Wir nutzen dafür gerne Tage, die eine größere Tour ohnehin nicht zulassen oder empfehlenswert machen.

Irgendwo im Gelände ein gemütliches Plätzen gesucht und das „Verstecken / Vergraben“ und „Suchen / Ausbuddeln“ des Lawinenpieps spielen.

 

Kleine Staublawine aus den Felsen

Kleine Staublawine aus den Felsen

 

 

 C) Lawinenwarndienste

Ganz wesentlich bei Wintertouren ist natürlich das Einholen der Informationen der jeweiligen Lawinenwarndienste für die einzelnen Bundesländer:

Nachdem man sich in den vorangegangenen Punkten ja bereits mit den grundlegenden Theorien von Lawinen vertraut gemacht hat (z.B. was bedeuten die einzelnen Lawinenwarnstufen), fällt es nun schon wesentlich leichter, die auf den Webseiten der Lawinenwarndienste angebotenen Informationen zu interpretieren und auf die eigenen Tourengebiete zu übertragen.

Welche Expositionen  sind besonders gefährdet, wie verändert sich die Lawinengefahr mit zunehmender Höhe, wie ist das Verhalten im Tageslauf.

Welche Geländeformationen sind auf jeden Fall zu meiden.

 

600 Meter vom Anriss bis zum Auslauf des mehrere Meter hohen Lawinenkegels

600 Meter vom Anriss bis zum Auslauf des mehrere Meter hohen Lawinenkegels

 

 

Zusammenfassung:

Ich bin kein Experte in Sachen Lawinensicherheit. Deshalb möchte und kann ich natürlich nicht DIE SICHERHEITSTIPPS geben.

Man sollte sich aber auch nicht unkritisch von jenen Binsenweisheiten beeinflussen lassen, die mit schöner Regelmäßigkeit jedes Jahr wieder in den Zeitungen auftauchen. Ein besonderes Beispiel aus dem heurigen Jahr: Da fand sich in einer Tageszeitung ein einseitiger Bericht. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, dass die Verhältnisse heuer so speziell sind, dass die aktuelle Lawinensituation derzeit auch von Experten nicht eingeschätzt werden kann. Abschlußsatz: „Vertrauen Sie sich deshalb einem erfahrenen Bergführer an“ (Stehen die also noch über den Experten ???).

Wie bereits erwähnt: Die 100%-ige Sicherheit gibt es ohnehin nicht. Mit entsprechendem Wissen kann man aber Gefahren eher erkennen und einschätzen und muss sich nicht permanent vor etwaigen Gefahren fürchten oder ganz auf die Freude verzichten, die eine Wanderung in einer schönen Winterlandschaft mit sich bringt.

Wesentlich häufiger als im Gelände habe ich mich jedenfalls bei der Anfahrt oder Rückfahrt geängstigt. Und die überfüllten Schipisten sind ja auch nicht wirklich eine sichere Alternative. Weder beim alpinen Schilauf noch beim Pistengehen.

Wenn man all die zuvor genannten Punkte berücksichtigt und zusätzlich noch eine zurüchhaltende, sehr defensive Vorgangsweise wählt, hat man schon die besten Voraussetzungen für ein gutes Gelingen einer Schitour oder Schneeschuhwanderung erfüllt.

 

Ich wünsche Euch immer ein sicheres Nachhausekommen

Ich wünsche Euch immer ein sicheres Nachhausekommen

 

 

Liebe Grüße und viele genußvolle und sichere Winterwanderungen wünscht

Dein / Ihr / Euer Christian

 

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