Würde man die heutige (19.09.2020) Bergtour alleine unter dem Aspekt der Gipfelbesteigung betrachten, kämen einem wohl Sprüche wie „Mit der Kirche ums Kreuz“ oder „Warum einfach, wenn´s kompliziert auch geht“ in den Sinn.

Landkartenausschnitte © BEV 2009, Vervielfältigt mit Genehmigung des BEV – Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen in Wien, T2009/52304
Aber bei den traditionellen Wanderungen (13 Jahre – 13 Touren) mit meinem ehemaligen Arbeitskollegen Martin steht der Gipfel alleine eigentlich nie im Vordergrund.
Im Gegenteil: In unserer gemeinsamen Tourenliste finden sich auch Routen gänzlich ohne Gipfelziele (Wildkarsee, vom Stegerkar ins Herzmaierkar). Wobei: Bereits 2 Mal hätten wir den höchsten Punkt doch als Ziel auserkoren, der elendige Berg ließ uns aber nicht ran / rauf. Einmal davon haben wir wenigstens ein würdiges Ersatzziel gefunden.
Etwa eine Viertelstunde nach Sonnenaufgang – hell ist es aber bereits etwas länger – lese ich im Rohrmoser Obertal einen „mir zunächst suspekt erscheinenden, autostoppenden“ Wanderer auf 🙂 . Gemeinsam begeben wir uns zum Ausgangspunkt unserer diesjährigen Wanderung und halten in Pole-Position am Parkplatz der Eschachalm (direkt neben dem „Häusl“) in knapp über 1.200 Meter Seehöhe.
Den ersten Streckenabschnitt haben wir bereits 2 Mal bei früheren Gemeinschaftstouren beschritten, dementsprechend konnten wir uns anregenden (und wenn´s um Poliktik geht: auch {nerven}aufregenden) Gesprächsthemen widmen, ohne landschaftlich wahnsinnig viel zu übersehen: Was gibt´s beruflich Neues, welche – mir zumindest aus Erzählungen bekannten – Personen weilen nicht mehr unter uns, und von der Lokalpolitik bis zum Trot… äh … Trump in Amerika war alles dabei. Und auch Erinnerungen an die in der Volksschulzeit geäußerten, zukünftigen Berufswünsche der Mitschüler wurden erörtert: Etwa, dass auch Faulenzer ein erstrebenswertes Ziel sein kann oder auch „irgendwas mit Fröschen“ wurde genannt 🙂 . Und natürlich war auch Corona ein Hauptthema – nicht das Bier.

Der in unserer gemeinsamen Routenliste erste neue Abschnitt (unabhängig voneinander waren wir beide auch da schon unterwegs) folgt dann auf ca. 1.770 Meter Seehöhe. Ein kleines Stück bevor die Almstraße nach rechts zur Keinprechthütte Richtung Westen weiter führt, verlassen wir diese und steigen zunächst weglos, bald aber wieder am Wandersteig nach Süden Richtung Lignitzhöhe.

Allmählich bläst uns ein unangenehmes Winderl um die Nasenspitzen. Kleidungsreserven werden aus den Rucksäcken geholt. Und wir werden daran erinnert, dass es nicht schaden würde, auch stets Haube oder zumindest ein Stirnband und auch Handschuhe im Rucksack bereit zu halten.

Am – in den Karten – namenlosen, von Einheimischen als „Lignitzsee´l“ bezeichneten Seelein vorbei wird der Wind noch schärfer und treibt Nebelschwaden über die Einschartung der Lignitzhöhe. Ingrid und ich hatten bei einer Schneeschuhwanderung zu diesem See vor Jahren einmal ein eindrucksvolles „Froscherlebenis“ (aber nicht im Sinne des Volksschülers einige Absätze weiter oben). Ab hier folgte dann für mich persönliches Neuland.

Besonders ungemütlich wird es dann direkt am höchsten Punkt der Lignitzhöhe in 2.205 Meter Seehöhe. Aber es hilft nichts: Fotografiert muss dennoch werden. Der Lignitzsee im Süden (nicht zu verwechseln mit dem zuvor erwähnten eigentlich namenlosen Lignitzsee´l im Norden) ist nur zeitweise unter der dichten Nebeldecke ausmachbar. Hoffentlich wird es heute noch wärmer – ich bin aber zuversichtlich.

Also werden zunächst die Model-Shootings abgehandelt. Und wie im Vorjahr weigert sich Martin auch heuer wieder, bei Nahaufnahmen meinen zugegeben wirklich schon grausligen Rucksack abzulichten. Aber was soll ich machen: Dieser einst vor allem für Schneeschuhwanderungen zugelegte Deuter-Rucksack ist auch nach 11 Jahren noch nicht kaputt zu kriegen (gelegentlich überlege ich, daran zu arbeiten).
Für das Model-Shooting bestand Martin auf einen Rucksack-Wechsel. (Foto Martin Huber)
Aber die Optik (und der Geruch) 🙂 . Liebe Deuter-Verantwortliche: Wenn ihr für Ausstellungszwecke einen vergilbten Rucksack mit einer Million Höhenmeter am Buckel benötigt: Ich würde mich – wenn auch schweren Herzens – bereit erklären, ihn für ein neues Exemplar einzutauschen. Meinetwegen auch nur leihweise für die nächsten 11 Jahre.
Ich weiß auch nicht, was Martin gegen meinen Rucksack einzuwenden hat. Sooo schlecht schaut er ja noch nicht aus 🙂 Aber wenigstens passen die an eine lange Unterhose im Urahn-Stil erinnernden, fast 20 Jahre alten Kniestrümpfe perfekt dazu. Zu diesem Zeitpunkt wurde vorerst nur ich von Kniebeschwerden geplagt. (Foto Martin Huber)
Mag sein, dass es der schneidige, Nebelfetzen-peitschende Wind und die damit verbundene Kälte oder aber die Euphorie war, als sich der Lignitzsee nun immer häufiger und länger zeigte: Unsere Phantasien kreisten zunehmend um eine lauschige Einkehr da unten beim kleinen „Haus am See“. Oder vielmehr darum, wer uns da in der kleinen, warmen Hütte wohl erwarten würde. Ob blond, ob braun – Hauptsache Zöpfe 🙂 .
Empfangen hat uns dann aber bei der kleinen Hütte jemand ganz anderer: Ein Jäger mit Frau, Kind und Kegel (=Hund), der sich – meiner Meinung nach berechtigterweise – darüber echauffierte, dass am frühen Morgen bereits eine Drohne über dem Lignitzsee das Wild dauerhaft auf-/ver-scheuchte. Demgebenüber seien wir Wanderer ja geradezu harmlos.
Kurz zuvor – am Westufer des Lignitzsees – sorgte ein unliebsames Erlebnis bei Martin für einen „bleibenden Eindruck“. Während ich bereits einige Wochen mit Kniebeschwerden zu kämpfen habe und mir heute zur Unterstützung meine fast 20 Jahre alten weißen Kniestrümpfe angelegt hatte, die an eine weiße, lange Unterhose erinnern, war Martin zunächst wieselflink wie eine junge Gams unterwegs.


Im Umfeld des Lignitzsees aber reichte ein wackeliger Steinblock, ein Abrutschen und ein „Einschlag“ mit dem Knie auf einem Felsen dafür, wieder „Chancengleichheit“ herzustellen. Der Martin bis ins Gehirn stechende Schmerz ließ uns zunächst befürchten, es könnte im Bereich der Kniescheibe etwas gebrochen sein. Langsam, aber mit Schmerzen, konnte Martin dann gottseidank doch die restliche Tour absolvieren. Denn es liegen noch 2 Auf- und Abstiege vor uns (wobei die Aufstiege weniger das Problem waren). So nutzten wir das verminderte Tempo gerne, um uns an den heute wirklich delikaten Schwarzbeeren gütlich zu tun.

Es folgte Aufstieg Nummer 2, den ich mit Ingrid bereits einmal bei unserer Graunock-Tour beschritten habe. Steil geht´s bergan in die von Peter Holl im Alpenvereinsführer Niedere Tauern als „Weite Scharte“ bezeichnete Anhöhe. Mag sein, dass es die Knieschmerzen waren, möglerweise hatten auch die Schwarzbeeren eine aphrodisierende oder halluzinogene Wirkung: Aber die philosophischen Ergüsse in der Scharte drehten sich darum, ob eine Weite Scharte auch eine enge Scharte sein kann und dass eine Breite Scharte immer eine breite Scharte bleibt.


Wie dem auch sei: Von den ersten nun folgenden Metern talwärts wusste ich, dass wir sie problemlos bewältigen würden. Und auch weiter unten im Talkenkarl sollten uns keine Schwierigkeiten erwarten. Aber zwischendrin war eine mir unbekannte Steilkante, die es erst zu erforschen galt.

Langsam tasteten wir uns heran. In der Landkarte waren die Höhenlinien hier ziemlich nah beieinander. Zu unserer Freude entdeckten wir aber so etwas ähnliches wie den Hauch eines Ansatzes eines Steigleins. Mit konzentrierten Schritten querten wir über die erdig-steinige Stufe hinab und standen bald in harmlosen, wunderschön eingefärbten Hochalmgelände.


Der grün schimmernde Talkensee unter uns besaß für unsere Fotoapparate natürlich eine magische Anziehungskraft. Weiter oben Richtung Zinkenkarl 2 weitere kleine Gewässer. Farblich allerdings nicht ganz so attraktiv, soweit wir das aus der Ferne beurteilen konnten – also war es an der Zeit, bei dem von leuchtend herbstlich-roten Schwarzbeersträuchern und interessanten Felsformationen eingerahmten Talkensee eine stärkende Pause einzulegen.

Was waren wir heute wieder durstig 🙂 . Jeder von uns wollte, dass wir seinen mitgeschleppten Gerstensaftvorrat zuerst leeren, um es beim folgenden dritten Anstieg auf die Zinkwand leichter zu haben. Wir konnten uns nicht einigen. Der Kompromiss: Wir trinken alle unsere Stiegl-Vorräte 🙂 .

Natürlich hatte Martin auch wieder die obligatorische „Wurst- und Brotjause“ mit im Gepäck – herzlichen Dank. Entgegen unseren Befürchtungen sorgte der Umtrunk jetzt nicht für Erschöpfung. Entspannt waren wir, ja, so wie es ein Universalerbe sein kann. Aber nicht müde und auch von schweren Beinen war keine Rede.

Im Gegenteil: Das Biergebräu entfaltete seine heilenden Kräfte und ließ uns die Kniebeschwerden vergessen, so dass wir nun fit waren für den nächsten und letzten Anstieg am heutigen Tage.


Auf einem ansatzweise erkennbaren und steinmandlmarkierten Steiglein drehte sich unsere Route nun Richtung Norden und am höchsten Punkt – der 2.442 Meter hohen Zinkwand – erreichten wir wieder die frühmorgens auf der Lignitzhöhe in die andere Richtung durchstoßene Landesgrenze Salzburg-Steiermark.

Allzu viele Wanderer schauen nicht vorbei beim Gipfelkreuz der Zinkwand, aber dennoch gibt es auch Unentwegte, die sogar die Gratüberschreitung von den Vetternspitzen in Angriff nehmen (Liebe Grüße an das Bruderherz 🙂 ).

Martin hatte noch etwas Schweres im Gepäck, von dem er sich unbedingt noch vor dem Abstieg entledigen wollte. Dieses Mal in der Farbe blau gehalten.

Fotos sind eh klar. Eventuell bereits eine neue Route für nächstes Jahr im Überblick inspiziert.




Und dann machten wir uns auf den Abstieg, die fast 600 Höhenmeter unter uns liegende Keinprechthütte liegt bereits fast im Schatten. Die Temperaturen waren aber seit dem Abstieg von der Lignitzhöhe recht angenehm, auch wenn der Himmel nur selten strahlend blau war, sondern eher von einer milchigen dünnen Wolkendecke überzogen wurde.

Ein kurzes Stück zurück am Anstiegsweg und dann nordöstlich Richtung Brettscharte, aber noch vor dieser nach Nordwesten zur Nordseite der Zinkwand. Einige kurze, leicht ausgesetzte, erdig-sandige Passagen hinter uns bringend erreichen wir eine Abzweigung. Linker Hand geht es wieder ein kurzes Stück bergan.

Dort wo „das Loch“ in den Berg führt: Am Höhleneingang die Zeichen „KYSELAK“ in den Fels geritzt, denen wir vorerst keinerlei nachvollziehbare Bedeutung beimaßen. Martin leuchtet mit seinem Handy den Stollen aus – meine Stirnlampe konnte im Gepäck bleiben.

Ingrid und ich hatten die Zinkwand ja schon vor mehr als 12 Jahren „unterwandert“ und sind auf der Lungauer Seite wieder rausgekommen. Heute begnügten wir uns mit der lichtdurchfluteten Knappenunterkunft auf der Südseite des Berges. Und auch hier wieder die Schriftzeichen „I. KYSELAK„. Klar, dass Martin zeitnah nachgeforscht hat, was/wer sich hinter diesem „Graffiti“ verbirgt, sind die Schriftzeichen doch an und in jenem Berg angebracht, der von ihm dereinst im Falle eine Bedrohung verteidigt wird.

Es wird natürlich alles fotografiert – einerlei, ob niet- und nagelfest oder nicht. Und abermals werden vage Pläne für eine nächstjährige Folgetour formuliert. Dann geht´s wieder hinaus zum Stollen-Nordeingang.


Steil, aber nicht schwierig führt das unmarkierte Steiglein jetzt talwärts. Ein Paar, welches gerade die Überschreitung von den Vetternspitzen (die Schlüsselstelle soll ein unangenehmer, brüchiger Dreier sein) hinter sich hat, überholt uns.

Als wir die Keinprechthütte erreichen, verlassen sie diese bereits wieder (vermutlich nur ein schnelles Schnapserl konsumiert).

Wir haben vor, etwas länger zu bleiben. Umso mehr, als wir 2 Bergwanderer aus meiner Heimatgemeinde treffen, die heute hier auf der Keinprechthütte übernachten werden, um ihre Wandertour am Folgetag mit der Höhenweg-Wanderung zur Gollinghütte fortzusetzen. Kaffee und Kuchen (Danke Martin) und zum Abschluß noch ein „einheimisches“ Gerstensaftl, dessen Geschmack ich eigentlich sonst nicht so bevorzuge, welches aber heute mit bester Trinktemperatur hervorragend mundete.

Schließlich müssen wir uns aber sputen, um noch vor Sonnenuntergang das Auto am Ausgangsparkplatz zu erreichen. Das ist sich dann doch nicht ausgegangen. Es wurde sogar – vor allem im dichteren Wald – schon ziemlich dumpa.

Nach mehr als 12,5 Stunden (die Netto-Wanderzeit war erheblich kürzer) waren wir wieder bei der Eschachalm. Zufrieden. Angenehm müde, aber nicht erschöpft.

Es war wieder eine äußerst inspirierende Wanderung mit außergewöhnlich vielfältigen Eindrücken: Von der Landschaft über die Kulinarik bis zum historischen Stollen und nicht zu vergessen im Knie. Und bei Durchsicht der Tourenstatistiken (Siehe auch unten) fällt mir auf, dass wir noch nie zuvor soviele Höhenmeter (1.852) bei einer unserer Gemeinschaftstouren zurückgelegt haben. Und auch noch nie solange unterwegs waren. Lediglich bei den Kilometern gibt es 2 etwas längere Touren.
Ich freue mich schon auf nächstes Jahr.


Gemeinschaftswanderungen mit Martin von 2008 bis 2020:
- Krügerzinken – 06.08.2008 (1.340 hm – 15,3 km – 8,25 Std)
- Wildkarsee – 08.09.2009 (1.330 hm – 16,1 km – 7,5 Std)
- Stegerkar – Wildkar – Herzmaierkar – 22.08.2010 (1.560 hm – 21 km – 11,5 Std)
- Steinkarzinken – Seekarzinken – Sonntagkarzinken – 10.09.2011 (1.670 hm – 19,7 km – 11,25 Std)
- Engelkarspitze 06.10.2012 (1.110 hm – 13,5 km – 8,5 Std)
- Klafferkessel – Greifenstein – 03.08.2013 (1.690 hm – 24,5 km – 12,25 Std)
- Elendbergsee – Pfeifer – 11.10.2014 (1.730 hm – 22,9 km – 12 Std)
- Duisitzkarsee – Murspitzen – 26.10.2015 (1.290 hm – 20,8 km – 10 Std)
- Elendberg 2.0 – Eiskarsee – 07.08.2016 (1.550 hm – 20,5 km – 11 Std)
- Vetternspitzen – Sauberg – 14.10.2017 (1.435 hm – 23,5 km – 11,75 Std)
- Giglachalmspitze – Knappensee – 27.09.2018 (1.385 hm – 21,8 km – 11 Std)
- Buckelkarseen – Grobfeldspitze – 13.09.2019 (1.410 hm – 17,7 km – 10,75 Std)
- Lignitzhöhe – Talkensee – Zinkwand – 19.09.2020 (1.852 hm – 22,9 km – 10,75 Std)
Liebe Grüße – Dein / Ihr / Euer Christian