Anfang Jänner 2019. Ungemütlicher Schneesturm bläst über die Dächer. Ein guter Zeitpunkt, in der warmen Stube in Erinnerungen an die Herbsttouren zu schwelgen, auch wenn die Völlereien der letzten Tage eher sportliche Betätigung nahelegen würden.
Wenige Tage nach der großartigen Bergtour auf den Hochkesselkopf hat es mich noch einmal ins westliche Dachsteingebirge zwischen Gosaukamm und Gosaustein verschlagen. Die AlpenYetin und ich wollten von den über Filzmoos erreichbaren Hofalmen zum Steiglpaß aufsteigen und dort ein wenig im Gelände herumschweifen.
Hauptziel der Tour waren eigentlich die imposanten Steinböcke, die uns bei der Gosaukamm-Umrundung im Juli nördlich des Steiglkogel aufgefallen waren (auf diesem Gipfel dürfte jetzt ein neues Gipfelkreuz stehen – aber ich verzettle mich).
Beim Aufstieg zur Hofpürglhütte vernehmen wir Rufe aus den Felswänden. Kletterer dürften hier mit dem Bau bzw. der Sanierung eine Kletterroute beschäftigt sein. Kein Wunder, dass sich hier die Gämse, die wir schon einige Male beobachtet hatten, heute nicht sehen ließen. Aber kein Malheur – wir wollen ohnehin zu ihren größeren und prächtigeren Vettern – den Steinböcken.
Wir folgen in herbstlicher Idylle dem Wandersteig Richtung Norden, nicht ohne etliche Fotos von der markanten Bischofsmütze mitzunehmen. Und weiter nordöstlich begutachten wir den Schrofen-Aufschwung der Armkarwand, auf die laut Internet-Berichten bei entsprechender Trittsicherheit und Schwindelfreiheit sowie Kletterfertigkeiten im 2. Schwierigkeitsgrat auch für Wanderer eine Aufstiegs-Chance bestehen könnte.
Wir wissen es beide nicht mehr, wie wir im späteren Tourenverlauf auf den Spruch „besser arm dran als Bein ab“ gekommen sind, vermuten aber den Ursprung in dieser besagten Armkarwand. Und da wussten wir auch noch nicht, dass der Spruch beim Abstieg eine zweite Bedeutung erhalten sollte.
Noch aber befinden wir uns im Aufstieg. Sowohl auf der sonnigen Südseite als auch auf der schattigen Nordseite des Steiglpasses lassen sich meist recht unaufgeregte Gämse gerne fotografieren. Hierher haben sie sich also zurückgezogen. Jetzt sind wir schon neugierig auf die Steinböcke. Aber: Diese ließen sich heute nirgendwo blicken. Schade.
Jetzt war es an der Zeit, Ingrid meinen zweiten – insgeheim auserkorenen – Tourenplan zu offenbaren. Ich wollte die Grat-/Rückenbegehung vom Mitterkogel im Süden über die Adelwand und die Hintere Kopfwand bis zur Vorderen Kopfwand wiederholen, da mir bei meinem ersten Besuch mit Schneeschuhen die GPS-Aufzeichnung abhanden gekommen ist.
Auf den Mitterkogel östlich vom Steiglkogel geht es recht einfach über mittelsteiles, sandiges Wiesengelände.
Auch der weitere Wegverlauf zur Adelwand ist nicht sonderlich anspruchsvoll. Da und dort ein Felserl halt, aber schließlich bin ich die Route auch im Schnee gut vorwärts gekommen. Der einzige Abschnitt, welcher der AlpenYetin etwas steil erschien, war die Überschreitung der Hinteren Kopfwand.
Und zugegeben, das sah wirklich steil aus – und da bin ich vor 10 Jahren mit den Schneeschuhen rauf? Ich kann mich zwar noch erinnern, dass eine Passage etwas Überwindung erforderte, aber so steil hatte ich diese Gipfelchen auch nicht in Erinnerung. Bald aber war der Aufschwung geschafft und beim Übergang zur Vorderen Kopfwand wird der Bergrücken wieder breiter.
Von hier gibt es großartige Ausblicke hinunter zum grün schimmernden Hinteren Gosausee und in die weiße Gletscherwelt am Dachstein.
Der Hochkesselkopf, vor 6 Tagen noch aper, zeigt sich heute schneebedeckt und wesentlich anspruchsvoller.
Nach der Jause und ausgiebiger Rundschau über beide Gosauseen sowie in die zerklüftete Felslandschaft um die Bischofsmütze ging es am Anstiegsweg wieder zurück.
Wieder blödelten wir: „Besser arm/Arm dran als Bein ab“, Kurz darauf blieb ich mit einem Fuß in einer Felsspalte hängen, just als dieser Fuß mit seinem Schritt nach vorne an der Reihe war. Ich kam ins Stolpern, eine Felsstufe hinab, ein schmerzhafter Ziehen fährt mir durch die Finger der rechten Hand, beim nächsten Überschlag konnte ich den Sturz mit dem Unterarm und Ellbogen stoppen.
An den Gebrauch der Hand war kurzzeitig nicht zu denken. Das Brennen ließ aber nach, sobald ich die Finger in einer leicht gekrümmten Beugehaltung still hielt. Ausstrecken konnte ich vor allem den Ringfinger nicht mehr ordentlich, aber auch Mittelfinger und der kleine Finger waren etwas lädiert und bald geschwollen. Etwas später folgte ein Bluterguss.
Bruch? Nein, glaube ich nicht ich. Mit etwas Überwindung konnte ich die Finger durchaus bewegen und in Ruhestellung spürte ich bald gar nichts mehr, auch wenn sich die Hand heiß anfühlte. Nun, an den kurz überlegten Direktabstieg vom Mitterkogel Richtung Süden über steil abschüssiges und brüchiges Felsgelände war jetzt aber nicht mehr zu denken. Also wieder zurück entlang der Aufstiegsroute.
Zunächst wieder nördlich um den Steiglkogel herum zum Steiglweg und auf den Steiglpaß. Beim Abstieg von ebendiesem entdeckten wir gleich wieder unzählige Gämse. Wobei – so unzählig waren sie gar nicht. Irgendwas zwischen 37 und 43 haben wir gezählt. Nicht dass wir Probleme mit dem Zählen hätten, aber die „Viecher“ bleiben ja nicht still stehen.
Weiter geht´s – diesmal der Markierung entlang an der Südseite des Steiglkogel vorbei, bis zum Unteren Rinderfeld. Dort lassen wir es gut sein und folgen dem Wanderweg schließlich zurück zum Ausgangspunkt bei der Unterhofalm, welche nicht noch gerade rechtzeitig im letzten Tageslicht erreichen.
Fazit der Tour:
Wer ohne viel Aufwand großartige Landschaftsimpressionen und Bergeindrücke sehen möchte, fährt einfach mit dem Auto zu den Hofalmen (Unterhofalm oder Oberhofalm). Am besten in der Herbstzeit, wenn die Lärchen ihre goldgelbe Färbung angenommen haben.
Wer einfache Wanderungen mag, dem sei das Rinderfeld ans Herz gelegt. Wer es steiler bevorzugt, geht auf den Steiglpaß. Wer es länger liebt, macht die Gosaukamm-Umrundung. Und wer sich einen III-er zutraut, erklimmt die Große Bischofsmütze.
Und wer Steinböcke sehen möchte: Braucht wohl etwas Glück.
Liebe Grüße – Dein / Ihr / Euer Christian
Landkartenausschnitte © BEV 2009, Vervielfältigt mit Genehmigung des BEV © Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen in Wien, T2009/52304